Prima Klima im Wolkenbügel
Schritt zurück nach vorn: Das Düsseldorfer “Stadttor”
verbindet traditionelle, ökologische Bauweisen mit modernem Design
Düsseldorf – Die Architektur des Hochhauses befindet sich in einem
amphibischen Zustand: Jahrzehntelang wurde an der technischen Realisierbarkeit
und funktionellen Brillanz senkrecht aufragender Konstruktionen von mehreren
hundert Metern Höhe gefeilt – jetzt arbeiten Ingenieurbüros
und Forscherteams an der ökologischen Optimierung dieser Wind und
Wetter extrem ausgesetzten “Wolkenbügel”.
Deutschlands jüngstes Hochhaus, das am Wochenende mit einem halbstündigen
Riesenfeuerwerk eingeweihte zwanziggeschossige “Stadttor” von
Düsseldorf, treibt den Kult um die Umweltkultur des Bürohochhauses
auf eine neue Spitze. Historisch gesehen, ist die “Ökomasche”
der Architekten ein durch Energiekrise, Rio-Agenda und Klimaproblematik
forcierter Nachholprozeß der modernen Architektur, bei dem uns glauben
gemacht wird, es handele sich um etwas essentiell Neues, den Eintritt
der Baukunst in eine höhere Sphäre der Aufklärung. Tatsächlich
gehört klimabewußtes Bauen zu den Urinstinkten und Urerkenntnissen
der Menschheit. Dach und Fassade hatten noch nie vor Anbruch dieses Jahrhunderts
eine wichtigere Funktion als die des Schutzes und der Klimatisierung des
Wohnens und Arbeitens.
Noch heute gilt die gründerzeitliche Stadt mit ihren starken Mauern
und hohen Dächern als hochspezialisiertes, für Kritiker der
neuen Wärmeschutztechnologien sogar unübertroffenes Modell energiebewußten
Bauens. Diese aus den Erfahrungen von Jahrhunderten entwickelten Kenntnisse
verblaßten erst, als mit dem Flachdach, mit den neuen Baumaterialien
wie Beton, Stahl, Aluminium und Glas, mit der Erschließung neuer
Energiegewinnungsformen sowie mit neuen Heiz- und Kühltechnologien
auch eine neue Ästhetik der Verschlankung und Minimierung der Profile
und Wandstärken in die Bauplanung Eingang fand, die der herkömmlichen
haushälterischen, energiesparenden Bauweise hohnsprach.
Mit dem “ökologischen Bauen” wird also strenggenommen nur
etwas zurückgeholt, was “modernen” Gebäuden abhanden
gekommen ist: der Klimapuffer, der nun freilich, will man bei den neuen
Baumaterialien und ästhetischen Überzeugungen bleiben, ganz
anders als in der “Steinzeit” des Bauens instrumentalisiert
werden muß. So werden “Energiesparhäuser” mit einem
stachligen technizistischen Dekor überkrustet, dessen Ästhetik
zwar vorerst nur selten einleuchtet, ihnen aber immerhin ein futuristisches
Gepräge gibt. Ganz anders im Büro- und speziell im Hochhausbau.
Hier verwendet die Architektengeneration des “High-Tech” beträchtlichen
Ehrgeiz darauf, gerade die Technik zum Verschwinden zu bringen. Der Trick
dabei ist die Verdoppelung der Wand der Fassade, der Geschoßdecken
und des Daches. In den Zwischenräumen gelingt es spielend, einen
höchst effektiven Klimapuffer zu schaffen und alle technischen Versorgungssysteme
unterzubringen. Das Düsseldorfer Torhaus ist ein Prototyp für
dieses Bemühen. In Deutschland konkurrieren internationale “Stararchitekten”
mit einheimischen Avantgardisten um die pfiffigste Idee zu diesem Konzept.
In Frankfurt hat Sir Norman Foster mit seiner Commerzbank ein äußerlich
zwar monströses (und wenig stadtverträgliches), in den gläsernen
Binnenkonstruktionen jedoch zweifellos intelligentes, mit seinen spiralförmig
angeordneten, zehn Meter hohen Wintergärten sogar originelles Modell
geschaffen. In Berlin setzte der Italiener Renzo Piano mit der in eine
Terrakotta-Haut gesteckten Debis-Zentrale am Potsdamer Platz einen Erfahrungen
des Steinbaus aufgreifenden Gegenakzent. Zwischen diesen Exponenten stehen
die beiden Düsseldorfer Architektenbüros Ingenhoven, Overdiek,
Kahlen und Partner sowie Petzinka, Pink und Partner, die – ursprünglich
in einem Büro vereint – seit vier Jahren getrennte Wege gehen.
Die kreisrunde Essener RWE-Zentrale von Ingenhoven und das quer über
den Düsseldorfer Rheintunnel gesetzte Stadttor von Petzinka sind
schon in der Bauzeit zu “Wahrzeichen” ihrer Städte geworden
– eine für ökologische Vorzeige- und Demonstrationsbauten alles
andere als selbstverständliche Eigenschaft. Dies verdanken sie in
der Publikumsmeinung der Perfektion, mit der an ihnen der technizistische
Aufwand aus dem Erscheinungsbild nahezu hinwegeskamotiert worden ist.
Dabei erweist sich der Essener Turm als das ästhetisch vielleicht
“perfektere”, das Düsseldorfer Stadttor als das ungleich
kompliziertere, ökologisch womöglich noch raffiniertere Gebäude.
Petzinka und Pink hatten mit einer städtebaulichen Vorgabe zurechtzukommen,
die das Erscheinungsbild des Hauses prägt: Bebauungskanten, die den
Rheintunnel in spitzem Winkel schneiden, so daß sich der schwierige
Grundriß eines Parallelogramms ergibt. Die Architekten setzten zwei
parallel, aber entsprechend der Grundrißvorgabe gegeneinander versetzte
Gebäude mit einer jeweils spitz zulaufenden Gebäudenase auf
das ungewöhnliche Areal und legten über beide Türme in
der Höhe von 17 Geschossen (50 Metern) noch ein weiteres “Haus”
quer.
So entstand die Symbolform eines Tores – ganz nach dem Geschmack des Düsseldorfer
Projektenwicklers Peter-Michael Engel, der mit diesem Bau ein “visionäres
Gebäude an der Schwelle des neuen Jahrtausends” kreieren wollte.
Das ist Petzinka und Pink wahrscheinlich vor allem mit ihrem ökologischen
Konzept gelungen: Sie umhüllten die ihrerseits in eine Glas-Holzfassade
gesteckte Gebäudegruppe mit einem riesigen Kasten aus zwölf
Millimeter dicken, drei mal 1,50 Meter großen Glasplatten, die nur
mit dünnen Silikonfalzen aneinanderhaften. Unter dieser monumentalen
Glasglocke ist eines der größten deutschen Atrien mit 150.000
Kubikmeter Luftinhalt entstanden – ein idealer Klimapuffer, der zu den
extrem günstigen Energiekosten wesentlich beiträgt (95 Pfennig
pro Quadratmeter und Monat gegenüber “sonst üblichen fünf
bis sogar 25 Mark”, so Architekt Thomas Pink).
Das Haus kommt ohne herkömmliche Klimaanlage und ohne Heizkörper
aus. Durch das Atrium und den 1,40 Meter breiten Zwischenraum zwischen
erster und zweiter Fassade flutet Außenluft, nur bei extremen Wetterlagen
wird über die Geschoßdecken Grundwasserkühlung bzw. Heizung
zugeschaltet. Dabei kann jeder Raum durch Öffnen der Fenster in der
inneren Fassade individuell klimatisiert werden.
Architektonisch und städtebaulich erweist sich der 80 Meter hohe
Bau am Südrand der Innenstadt als ein Glücksfall für Düsseldorf.
Seine zurückhaltende Ästhetik, das sparsame, rauhe, stringent
eingesetzte Industriedesign der offenen Treppen, Terrassen und Plattformen
im Gebäudeinnern, von denen aus sich ein neues Stadterlebnis der
Hauptstadt des bevölkerungsreichsten deutschen Landes erschließt,
die symbolhafte Geste von Willkommen und Abschied, die über den Rhein
und die Uferpromenade grüßt, das alles ist über den ökologischen
Anspruch hinaus ein Stück gelungene Stadtarchitektur.
Daß sieben Jahre Planung und 107 Millionen Mark ausgereicht haben,
einen solchen Akzent zu setzen, nötigt Respekt ab. Es ist nicht nur
graues Einerlei, was die neue Architektur hervorbringt.
Erschienen in: DIE WELT – Freitag, 15. Mai 1998
Von: Dankwart Gubatzsch