NRW – Clement wie Stoiber

Der neue Ministerpräsident muß in Düsseldorf
aufräumen und will die Macht modernisieren

Aufbruch in die Moderne. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident
Clement klopft kraftvoll den Muff aus Johannes Raus verstaubten Kleidern.
Auch äußerlich.

Der neue NRW-Regierungschef mit dem Image des Modernisierers verläßt
die alte Staatskanzlei am Rheinufer und zieht um in Deutschlands modernstes
Energiesparhaus. Im 81 Meter hohen Düsseldorfer Stadttor ließ
er sich gleich mehrere Etagen reservieren.

Vorbild Bayern. Der 57jährige Sozialdemokrat setzt Zeichen. Wie einst
Raus Chefberater Bodo Hombach den bayerischen Slogan “mir san mir”
für sein Land in “Wir in NRW” umwandelte, holt sich Clement
Anregungen in München. Die können nicht schlecht sein. Kollege
Edmund Stoiber regiert seit fünf Jahren mit einer stolzen Bilanz.
Nicht nur die Staatskanzlei soll in Stahl und Glas glänzen, auch
sein pragmatischer Kabinettszuschnitt trägt weiß-blaue Züge.

Seine schlagkräftige, um drei Ministerien verkleinerte Regierungsmannschaft
steht in Konturen. Allerdings muß der Rau-Nachfolger noch einige
parteiinterne Hürden wegräumen. Widerspenstige Genossen, die
mächtigen Parteibezirke und die Landtagsfraktion verzögern die
Kabinettsbildung im “Sanierungsfall NRW” (Clement).

Vier von Johannes Raus zwölf Ministern schickt der Aufräumer
in Frühpension: Wissenschaftsministerin Anke Brunn, Arbeits- und
Sozialminister Axel Horstmann, Gleichstellungsministerin Ilse Ridder-Melchers
und Europaminister Manfred Dammeyer. Als Wackelkandidatin gilt Ilse Brusis,
deren Städtebauministerium fällt, die aber aufgrund ihrer Nähe
zum DGB neue Chefin eines verschlankten Arbeitsministeriums werden kann.
Neu ins Kabinett kommt Gerhard Schröders Wahlkampfberater Bodo Hombach
als Nachfolger im Wirtschaftsministerium. Heiße Kandidatin bleibt
die SPD-Abgeordnete Brigitte Speth, die das neue Ressort Gleichstellung,
Jugend und Familie übernehmen soll.

Souveränität zeigt Clement gegenüber seiner parteiinternen
Widersacherin Gabriele Behler. Die stellvertretende Landesvorsitzende
und Schulministerin wird – wie in Bayern – zur echten Kultusministerin
aufgewertet und erhält die Zuständigkeit für das aufgelöste
Wissenschaftsressort dazu.

NRW-Botschafter in Brüssel. In einem Punkt übertrifft Clement
seinen bayerischen CSU-Widerpart Stoiber allerdings: zwar zieht er die
gesamte Zuständigkeit für Europa ebenfalls in die Staatskanzlei,
aber als erstes Bundesland schickt Clement einen eigenen ständigen
Vertreter zur EU nach Brüssel. Er kennt den Grund: “Mehr als
die Hälfte der Länderpolitik ist inzwischen von Brüssel
abhängig.”

Erschienen in: FOCUS
Nr. 23 / 1998 (02. Juni 1998)