Landesvater in Glas und Stahl
Ministerpräsident Clement regiert zwischen Unternehmensberatern und Rechtsanwälten – Symbol einer neuen Ära.
Von seiner neuen Staatskanzlei ist Wolfgang Clement ganz begeistert.
Zehn Etagen überm Rhein regiert er jetzt, kann von seinem Schreibtisch aus links hinunterblicken auf die futuristischen Medienfabriken am Hafen
und rechts auf den Landtag. Endlich ist er dem düsteren Haus am Mannesmannufer,
in dem Johannes Rau und alle übrigen NRW-Ministerpräsidenten
residiert hatten, entkommen. Wie eine Mischung aus wilhelminischem Amtsgericht
und humanistischem Internat wirkte die alte Staatskanzlei. Die neue hingegen
ist ein modernes Gebäude.
Alles ist transparent. Von der Dachterrasse eines Wohnhauses können
die Bewohner dem Landesmanager, der kein Landesvater sein will, bei der
Arbeit zuschauen. Denn die Außenwände seines dreieckigen Büros
bestehen aus doppelten Glaswänden, die das Haus mit Hilfe von Jalousien
temperieren und eine FCKW-Klimaanlage ersetzen. Vom Fußboden bis
zur Decke: nichts als Glas. Zwischen den Scheibenwänden verläuft
um das ganze Gebäude auf jeder Etage ein schmaler Gang mit Edelstahlreling
– geeignet nur für Schwindelfreie.
Der Umzug ins Stadttor hat Symbolwert: Der Bruch mit der Ära Rau
wird plastisch. Clement ist bereit zum Tabubruch. Das Gebäude soll
für den 58jährigen, der sich nach nicht einmal einem Jahr Amtszeit
im Gewirr eigener Fehlentscheidungen verheddert hat, als Jungbrunnen wirken.
Und es signalisiert: Wenn Clement Reformen angeht, kann keiner seine Besitzstände
als sicher und selbstverständlich ansehen, sondern muß umdenken.
Kann ein Ministerpräsident eines Bundeslandes mit 300 Staatskanzlei-Beamten
zur Miete wohnen? Clement befand aus dem Bauch heraus: Warum nicht? Nun
ist er der erste und einzige – und stolz darauf. Abgesehen von den Eigentumsverhältnissen
residiert er nun mindestens so komfortabel wie sein Lieblingsgegner Edmund
Stoiber in München. Clement rühmt das “Stadttor” als
“weltweit bestes” Bürogebäude. Passend also für
einen Mann, der “NRW zur Nummer eins machen” will.
Dynamisch wie Clement sich gerne selber sieht sausen die acht Aufzüge
im Atrium auf und ab. Das “Stadttor”, lobt ausgerechnet der
Freund einsamer Entscheidungen, sei “auf unglaubliche Weise kommunikativ”.
Sicher: Die Kaffeebar und der Italiener “Il Portone” im Parterre
laden zum Plaudern ein. Im Kiosk daneben kann Clement, falls Gerhard Schröder
mal zu Besuch kommt, eine Havannazigarre (Stückpreis 46 Mark) und
einen schottischen Macallan-Whisky (Flasche: 63,50 Mark) erstehen. Für
den bevorstehenden Clement-Geburtstag finden die Mitarbeiter der Staatskanzlei
dort die passenden Karten (“Guten Morgen und hurra, du wirst heut
59 Jahr'”).
Vor allem aber ist das Haus transparent. Fenster geben den Blick frei
auf den Behandlungsstuhl des Zahnarztes im Erdgeschoß. Durch Fenster
im Atrium lassen sich die Aktenordner des Archivs der Staatskanzlei bewundern.
Staatskanzlisten, die im Westflügel des Gebäudes im sechsten
oder zwölften Geschoß sitzen, können ihren Kollegen auf
derselben Ebene im Ostflügel zwar zuwinken. Um aber mit ihnen zu
sprechen, müssen sie mit dem Aufzug in die zehnte Etage fahren und
dort über eine Brücke gehen. Auch diese Brücke ist nur
für Menschen geeignet, die 40 Meter in die Tiefe schauen können.
Das Nebeneinander von öffentlichen und unternehmerischen Mietern
entbehrt nicht einer gewissen Kuriosität. Die Schilder in den Aufzügen
zeigen, daß Clements Behörde hier nur Wohnrecht hat wie andere
auch. Namen von Unternehmen wie Regus Immobilien und der Rechtsanwaltskanzlei
Kapellmann und Partner finden sich direkt neben dem Hinweis “Der
Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen”.
Herr im Hause ist hier nicht Clement, sondern Boris Canessa, Mitinhaber
und Mitgeschäftsführer der Engel Facility Management. Sein Unternehmen
hat das “Stadttor” als kleine Ausgabe von La Grande Arche de
la Défense in Paris entwickelt und managt Vermietung und Verwaltung.
Canessa und sein Kompagnon Peter-Michael Engel gehören zu den 16
privaten Eigentümern des Glaspalastes.
Wenn der Mieter Clement Kummer hat, muß er sich an Canessa wenden.
Der 35jährige nimmt alle Angelegenheiten, die Kosten von mehr als
1000 Mark verursachen könnten, “selber in die Hand”. Bevorzugt
behandeln kann der Jungmanager den Ministerpräsidenten kaum. Denn
die anderen Topmieter – etwa die Unternehmensberatungen Kienbaum und Boston
Consulting Group – sind nicht weniger anspruchsvoll.
Ob sich die sieben Millionen Mark Jahresmiete für 12.350 Quadratmeter
Fläche durch Einsparungen an anderen Ecken wirklich rechnen, bezweifelt
die nordrhein-westfälische CDU. Recht hat die Oppositionspartei sicher
mit der Feststellung, der Umzug ins Stadttor sei “eine PR-Aktion”.
Das ist sie – allerdings eine gelungene.
Erschienen in: Wirtschaftswoche Nr. 15 / 8.4.1999 Seite 18V
Von: Sven Afhüppe/Harald Schumacher